© Bild: Peter Weidemann In: Pfarrbriefservice.de
Das ist doch mal ein Evangelium, das zu unserer aktuellen Situation passt (Joh 6,60-69).
Man muss sich ja nur mal am Sonntag in den Kirchen umsehen. Da sind ja deutlich mehr leere Bänke als besetzte Plätze.
An den letzten Sonntagen war im Evangelium ja noch die Rede davon, dass die Menschen in Scharen zu Jesus kamen.
Aber das scheint ja nicht von großer Dauer gewesen zu sein. Nein, das Gegenteil war eher der Fall.
Das Johannesevangelium, aus dem der heutige Text ja stammt, ist geschrieben um das Jahr 100 nach Christus. Es richtet sich an eine Gemeinde, die in der Krise steckt.
Für die junge Gemeinde und die ersten Christen stellt sich die Frage:
Da entdecke ich doch ganz viel von unserer heutigen Situation in Kirche:
Immer mehr Menschen gehen weg.
Manche eher schleichend und unbemerkt.
Andere auch lautstark und mit Protest und Kritik.
Viele können nichts mehr anfangen mit der Kirche oder mit dem Glauben überhaupt.
Viele kritisieren die Position der Kirche, was die Rolle der Frau angeht oder die Sexualmoral in Zeiten von Gendergerechtigkeit.
Manche haben auch Probleme mit der Gemeinde vor Ort – kommen mit dem Pfarrer oder den Hauptamtlichen nicht zurecht – oder sind unzufrieden mit dem Service insgesamt.
Es gibt ja durchaus handfeste Dinge, die Menschen verärgern.
Und ich darf hier auch ganz ehrlich sagen: Es gibt auch für mich Dinge, die mir das Glauben und die Zugehörigkeit zu dieser Kirche nicht einfach machen.
Ich spüre deutlich, dass mein Glaube und mein Verbleiben in dieser Kirche ernsthaft angefragt sind:
Gerade wenn unsere Situation heute durchaus ähnlich ist wie die Situation der Christen damals, lautet die Frage: Was hat uns denn das Evangelium ganz konkret zu sagen?
Und da ist das Erste, was mir auffällt: Jesus verfällt nicht in die Falle, in die viele, die im Gottesdienst vorne stehen immer wieder fallen:
Er schimpft nicht mit denen, die da sind.
Und er klagt nicht über die leeren Bänke.
Er schimpft noch nicht einmal über die Schlechtigkeit der Welt und die Trägheit der Menschen.
Jesus stellt ziemlich nüchtern fest: Glaube lässt sich nicht befehlen und nicht verordnen.
„Niemand kann zu mir kommen, wenn es ihm nicht gegeben ist“ – sagt er.
Das ist fast schon eine Lockerheit und Leichtigkeit, die ich mir selbst wünsche.
Und dann stellt er seinen Jüngern die Frage, die ich höre als Frage an mich – und die Sie hören sollten als Frage an Sie persönlich:
„Wollt auch ihr weggehen?“
Mit anderen Worten: Meine Frage „Glauben wir das richtige? Liegen wir richtig – oder haben die vielen anderen recht?“ - die ist nicht verwerflich und erst recht keine Sünde.
Sie ist berechtigt.
Jesus stellt sie seinen Jüngern ausdrücklich: „Wollt auch ihr weggehen?“
Die erste Antwort, die Petrus (der wie so oft schneller redet als denkt): „Zu wem sollen wir denn gehen?“ – ist zwar einerseits ziemlich platt, aber so naheliegend, dass sie mir guttut.
Denn der naheliegendste Grund, warum ich nicht weggehe sondern bleibe, ist doch das, was Petrus als Erstes sagt: „Zu wem sollen wir denn gehen?“ Oder anders gesagt: Was ist denn die Alternative?
Ja, es gibt Vieles zu kritisieren in dieser Kirche.
Ja, es läuft Vieles falsch. Und ich bin mit Manchem unzufrieden.
Aber es ist trotzdem meine Kirche.
Die Kirche, in der ich groß geworden bin.
Die Feste und Riten, die mir wichtig sind.
Es ist ein bisschen so wie mit meiner Familie.
Es ist keine perfekte Familie.
Ich ärgere mich oft schwarz über meine Familie.
Aber es ist und bleibt: meine Familie.
Allerdings bin ich froh, dass Petrus dann mit seiner Antwort doch noch einen wichtigen Schritt weiter geht: „Du hast Worte ewigen Lebens.“
Da geht es nicht nur um Gewohnheit oder darum, dass ich keinen alternativen Weg sehe.
Es geht darum, dass Gott und mein Glaube mir Kraft geben und mich tragen – gerade in Zeiten der Krise.
Ohne Glaube wird die Welt ärmer und kälter.
Das spüre ich jeden Tag, denn es hat meiner Meinung nach auch mit dem schwindenden christlichen Glauben in unserer Gesellschaft zu tun, dass das ICH immer stärker wird und das WIR immer schwächer.
Trotz aller Schwierigkeiten und Probleme ist und bleibt für mich darum die Kirche ein Ort, der den Glauben erfahrbar werden lässt – auch und gerade in unserer Zeit.
Hören Sie die Frage Jesu doch mal so, als ob er sie Ihnen ganz persönlich stellt: „Willst auch du weggehen?“
Haben Sie denn eine Antwort darauf?
Ich wünsche Ihnen, dass Ihre Antwort nicht nur zu tun hat mit „Wohin soll ich sonst gehen?“, sondern mit dem, was Ihnen persönlich der Glaube und vielleicht auch die Kirche bedeuten.
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Gott allein kann Leben schenken
aber du und ich können es achten und schützen.
Gott allein kann Glauben schenken
aber du und ich können Zeugnis geben.
Gott allein kann Hoffnung wecken
aber du und ich können den anderen Vertrauen zeigen.
Gott allein kann die Freude schenken
aber du und ich können ein Lächeln weitergeben.
Gott allein ist das Unmögliche
aber du und ich können das Mögliche tun.
Gott allein würde sich selbst genügen
aber er hat es vorgezogen
auf dich und mich zu zählen.
Helene Renner (2021)
www.predigtforum.com
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Einen schönen Sonntag wünscht
Ihr
Ulrich Lühring